Tímea Junghaus
Roma Resist!
Roma Resist! knüpft an die Fotoreihe an, die die Forschung der Anthropolog*innen und Rassenforscher*innen Robert Ritter und Eva Justin und Sophie Ehrhardt bei der Aufzeichnung der Herstellung und Sammlung von Masken mit menschlichen Überresten zur Zeit des Nationalsozialismus dokumentiert.
Die Subalternität der Rom*nja, die Gayatri Chakravarty Spivak in ihren Werken als „diese Last das ‚Andere‘ zu sein und die physische, symbolische, epistemische – Gewalt“ zusammenfasst, d.h. die Kolonialisierung der Rom*nja durch die europäischen Mehrheiten, ist im visuellen Bereich am sichtbarsten und offensichtlichsten. So hat das Erforschen der Wünsche nach Subjektivität der Rom*nja durch das Visuelle eine transformative Kraft. Jede Intervention der Rom*nja in die widersprüchliche Geschichte ihrer Repräsentation wirkt als ein Akt des Widerstands.
Als Gegenposition zum Schrecken der anthropologischen Fotos, aber auch zum falschen romantisierten, sexualisierten und kriminalisierten Bild der Rom*nja in der westlichen Kunstgeschichte, ist die Kunst der Rom*nja eine Bewegung der Selbstbestimmung.
Die ausgestellten Künstler*innen betonen die Verkörperungen und Erzählungen des Widerstands der Sinti*zze und Rom*nja als einen zentralen Aspekt ihrer eigenen Erfahrung. Die Kunst der Sinti*zze und Rom*nja selbst wird als eine wohlüberlegte und kreative Methode ihrer Resilienz, als eine bewährte Form des kulturellen Überlebens sowie als Demonstration ethischen und politischen Engagements für die Zukunft ihrer Gemeinschaft angesehen.
Die Werke von Robert Gabris, Małgorzata Mirga-Tas, Emilia Rigova, Selma Selman und Alfred Ulrich enthalten die Vorstellungen vom transformativen Subjekt der Sinti*zze und Rom*nja, die Aussichten auf eine neue historische und politische Tektonik für unser gemeinsames Wohl. Dabei bauen sie auf der Macht der Einheit und den Bündnissen auf, die wir für die Selbstbestimmung aller Minderheiten eingehen.
Über Tímea Junghaus:
Tímea Junghaus ist Kunsthistorikerin und Kuratorin für zeitgenössische Kunst von Künstler*innen mit Roma/Sinti-Herkunft und Leiterin von ERIAC – European Institute for Roma Arts and Culture. Sie hat zu den Schnittstellen von moderner und zeitgenössischer Kunst und kritischer Theorie geforscht und umfassend publiziert, insbesondere zu Fragen der kulturellen Unterdrückung der Roma, des Kolonialismus und der Repräsentation von Minderheiten. In ihrer kuratorischen Arbeit geht es um die Anerkennung und Einbeziehung von Roma, Sinti und wohnsitzlosen Künstler*innen in die zeitgenössische Kunstszene und die Enthüllung der Beiträge verschiedener Minderheiten zu dem, was wir heute Europa nennen.
→ romarchive.eu
Teilnehmende Künstler*innen:
Selma Selman
(geboren 1991 in Bihać, Bosnien-Herzegovina / arbeitet und lebt in New York)
Selma Selman ist eine bosnisch-herzegowinische Künstlerin mit einer internationalen Karriere. Sie lebt und arbeitet zwischen Bihać und New York und bringt den künstlerischen Ausdruck einer neuen Generation ins Leben. In ihren Werken hinterfragt sie das Patriarchat und den Kapitalismus sowie deren Einfluss auf die Gesellschaft. In ihren Kunstwerken geht es um die Befähigung weiblicher Körper und die kollektive Selbstemanzipation unterdrückter Frauen. Ihre Suche nach funktionalem, zeitgenössischem politischem Widerstand entspringt ihrer persönlichen Erfahrung mit Unterdrückung.
→ youtu.be/FXBz9olLf2A
→ selmanselma.com
Emília Rigová
(geboren 1980 in Trnava, Slowakei / lebt und arbeitet in Bihac, Bosnien-Herzegovina)
Emília Rigová ist eine slowakische bildende Künstlerin und Akademikerin mit Roma-Herkunft. Sie lehrt Kunst an der Matej-Bel-Universität in der Slowakei, wo sie 2019 die Abteilung für Kunst und Kultur der Roma gründete. Im Jahr 2018 wurde Rigová mit dem angesehenen slowakischen Preis für zeitgenössische Kunst, dem Oskar-Cepan-Preis, ausgezeichnet. Inhalt ihrer Arbeit ist die Erforschung der Intersubjektivität emotionaler Erfahrung, modifiziert durch die Besonderheiten des soziokulturellen Umfelds. In ihrer jüngsten Arbeit beschäftigt sich Rigová mit der Rekonstruktion der Kulturgeschichte der globalen Roma-Diaspora, die die Künstlerin persönlich in New York erlebt hat.
→ emiliarigova.com
Robert Gabris
(geboren 1986 in Hnúšťa, Slowakei / lebt und arbeitet in Wien, Österreich)
Robert Gabris ist bildender Künstler. Er arbeitet installativ, aber auch in den Bereichen Animation, Performance, Fotografie und Konzeptkunst. Gabris lehrt anatomisches Zeichnen in verschiedenen Institutionen und Zeichenschulen. Ausgangspunkt seiner Arbeit sind neue experimentelle Formen des Zeichnens als Widerstand gegen Rassismus, soziale Ungerechtigkeit und die negativen Zuschreibungen, mit denen sich ethnische Minderheiten wie die Sinti und Roma oder Migrant*innen konfrontiert sehen. In seiner Kunst kommentiert er unsere Wahrnehmung der Realität ebenso wie den Stellenwert von Erinnerungen, von persönlichen und nationalen Historien und kulturellen Identitäten. Gabris’ Ansatz ist zu großen Teilen von einem assoziativen Umgang mit Worten, Klängen und bildlichen Darstellungen geprägt.
→ robertgabris.com
Małgorzata Mirga-Tas
(geboren 1978 in Zakopane, Polen / lebt und arbeitet in Czarna Góra, Polen)
Małgorzata Mirga-Tas studierte Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in Krakau. Sie ist Künstlerin, Aktivistin, Pädagogin und Initiatorin zahlreicher Projekte, die sich an Roma-Gemeinschaften richten. Sie erhielt das Stipendium der amerikanischen Regierung „International Visitor Leadership Promoting Social Good Through the Arts“ (2014). Sie nahm am Internationalen Bildhauersymposium in Brno teil (2011 und 2017) und Sie engagiert sich in zahlreichen sozialen und künstlerischen Projekten gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit.
→ romarchive.eu/de/collection/p/malgorzata-mirga-tas
Alfred Ullrich
(geboren 1948 in Schwabmünchen, Deutschland / lebt und arbeitet in Vierkirchen, Deutschland)
Alfred Ullrich ist Grafik-, Video- und Aktionskünstler mit Sitz in Dachau. 1948 im bayerischen Schwabmünchen als Sohn einer deutschen und einer österreichischen Sintezza geboren, versteht er sich als Außenseiter unter Außenseitern. Sein Werk kreist um die Frage nach dem Verhältnis zwischen der deutschen Mehrheitsgesellschaft und dem Verhältnis der Sinti und Roma. Er untersucht in vielen Werken auch seine eigene Familiengeschichte: Ullrichs gesamte Familie wurde in Konzentrationslager geschickt, wo die meisten von ihnen ermordet wurden. So fließen Schmerz, Tod und Verletzlichkeit in seine Arbeit ein.