Ayrson Heráclito
O Sacudimento da Casa da Torre, 2015
O Sacudimento da Maison des Esclaves em Gorée, 2015
„Als ich das Turmhaus „erschütterte“, war der einzige „egun“ [Geist eines/einer Verstorbenen], den ich dort vorfand, der diesen Mauern auch nach so vielen Jahren noch innewohnte, der Sklavenmeister; mehr noch, der einzige „egun“, der da war, der mich verfolgte, weil er unter uns blieb, wanderte von dort, dem Turmhaus aus, seiner Burg oder Festung, in das gesamte soziale Gefüge Bahias und durchdrang es; aber nicht nur das: Es war die aufkommende Gewalt der Sklaverei und des alten Kolonialsystems, das uns eine extreme Ungleichheit und als deren Ergebnis auch die Armut vermachte.“
Ayrson Heràclito
Das Schütteln des Casa da Torre (rechts) und des Maison des Esclaves (links) bildet ein Diptychon, dessen zentrales Thema die „Erschütterung“ oder der „Exorzismus“ von zwei wichtigen Orten ist, die die Tragödie des transatlantischen Sklavenhandels und der Kolonisierung symbolisieren. Der eine Ort befindet sich an der Küste Senegals, wohin Afrikaner*innen gebracht wurden bevor sie nach Amerika verschleppt wurden. Der andere Ort befindet sich an der Nordküste der brasilianischen Stadt Salvador-Bahia, eine der größten Verwaltungseinrichtungen des portugiesischen Kolonialsystems. Gorée (Senegal) stellt die Gewalt des Abschieds, des Nichtwiederkehrens und Casa da Torre (Brasilien) die Gewalt und das Trauma des Ankommens in der „Neuen Welt“ dar.
In der Afro-brasilianischen Tradition des Candomblé, das seine Wurzeln in der Voudou Religion aus Westafrika hat, dient das ‘Schütteln’ dazu, die Geister der Verstorbenen (Egun) herauszuwerfen damit sie keine Schäden bei den Menschen anrichten können. Dies leitet eine spirituelle Reinigung ein. Der Künstler beschreibt selbst:
„Als ich das Turmhaus „erschütterte“, war der einzige „egun“ [Geist eines/einer Verstorbenen], den ich dort vorfand, der diesen Mauern auch nach so vielen Jahren noch innewohnte, der Sklavenmeister; mehr noch, der einzige „egun“, der da war, der mich verfolgte, weil er unter uns blieb, wanderte von dort, dem Turmhaus aus, seiner Burg oder Festung, in das gesamte soziale Gefüge Bahias und durchdrang es; aber nicht nur das: Es war die aufkommende Gewalt der Sklaverei und des alten Kolonialsystems, das uns eine extreme Ungleichheit und als deren Ergebnis auch die Armut vermachte.“
„Die Häuser, in denen ich meine Performances gezeigt habe, sind beides Orte, an denen Menschen ihre Menschlichkeit verloren haben durch Gewalt verschiedenster Art, vor allem physische, aber auch symbolische. Das verbindet sie eindeutig.“
Mit einem Akt der rituellen Reinigung kehrt Heráclito an die Orte des kolonialen Schmerzes zurück als ein Versuch sich vom kolonialen Gespenst und Phantomschmerzen zu befreien und die koloniale Wunde der Gegenwart zu heilen. Ist Heilung möglich?
Ayrson Heráclito (geboren 1968 in Macaúbas, Brasil / lebt und arbeitet in Salvador de Bahia, Brasilien) ist visueller Künstler, Wissenschaftler, Professor und Kurator. Er lebt und arbeitet in Cachoeira und Salvador, Brasilien. Das Werk des Künstlers changiert zwischen Installation, Performance, Fotographie und audio-visuellen Medien. Er beschäftigt sich vorrangig mit Elementen der afrobrasilianischen Kultur und ihren Verbindungen zu Afrika sowie der Diaspora in Amerika und kritisiert in seinen Werken Sklaverei und Rassismus. Heráclito gilt als einer der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler Brasiliens.
Portrait Foto: © Tiago Sant’Ana.
Bilder aus: Ayrson Heráclito,
Sacudimentos (The Shakings), 2015
Videoinstallation, Länge: 08:32 min.